Mit dem UOV Reiat zurück in der Steinzeit

Die Steinzeit, gilt als die erste Phase der Menschheitsgeschichte. Sie begann vor ungefähr 2,5 Millionen Jahren und dauerte bis vor ungefähr 8000 Jahre. Die Steinzeit endete – je nach Region unterschiedlich – mit dem Übergang in die Bronze- und Kupferzeit. In den am weitesten entwickelten Teilen des Nahen Ostens und Südostasiens endete sie ungefähr 6000 v. Chr. Und in Europa, im übrigen Asien und Afrika dagegen dauerte sie bis etwa 4000 v. Chr.

Besonders geprägt wurde diese Zeit durch den Wechsel von Kalt- und Warmzeiten. Die Lebensbedingungen waren zum Teil so extrem, dass wir – also die Menschen aus der heutigen europäischen Zivilisation –  wohl kaum eine Woche unter diesen Bedingungen überlebt hätten.

Wenn man also bedenkt, dass sich während der Steinzeit die Entwicklung der damaligen Kulturtechniken über einen Zeitraum von mehr als 2 Millionen Jahren erstreckte, so ist das doch eine erstaunlich lange Zeit im Vergleich zu unseren technischen Errungenschaften der letzten 200 Jahre!

Wie sähe es wohl aus, wenn wir gezwungenermassen all diese Kulturtechniken wieder erlernen müssten? Wie lange würde es dauern, bis wir mit Feuersteinen ein Feuer machen könnten (ohne Funkenstab!)? Wie lange, um aus einer abgezogenen Tierhaut ein Kleidungsstück zu produzieren (ohne Nähmaschine!)? Wie lange, bis wir Tierknochen so verarbeiten könnten, damit nützliche Werkzeuge daraus entstünden (ohne Tellerschleifscheibe!)? Oder anders gefragt, wie lange hätten wir Zeit, um unter solchen Bedingungen unser Überleben sicherstellen zu können? Oh je… ich denke, die Woche wäre eher um, bevor ich ein Tier erlegt, ein Feuer angezündet und etwas Essbares zwischen den Zähnen hätte. So schnell ginge es also und ich hätte das Zeitliche gesegnet. Eigentlich ernüchternd, oder? Dabei denken wir offensichtlich, was für eine primitive Spezis diese Steinzeitmenschen doch gewesen sein mussten, die lediglich ein paar Felle auf der Haut trugen und brüllend und schreiend irgendwelchem Getier nachjagten oder ein paar Wurzeln ausgruben oder Beeren sammelten.

Umdenken ist angesagt!
Im Anschluss an unser Jubiläum im September 2007, machten sich ein paar unentwegte Rentiermannen daran, die alten Kulturtechniken neu zu entdecken und vor allem in brauchbare Resultate umzusetzen. Zwei Ziele wurden mit ungewissem Ausgang aufgestellt:

  1. Feuer machen können
  2. Waffen herstellen und mit Erfolg zum Einsatz bringen können

Die Sache mit dem Feuer
Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass wir so manche Abende in Gruppen zusammen verbringen mussten, um zu suchen, auszuprobieren, nachzudenken, auszutauschen und Frustrationen wegzustecken, bis wir wenigstens mal brauchbaren Zunder aus eigener Produktion zur Verfügung hatten. Zunder wird aus einem Pilz von abgestorbenen Bäumen gewonnen und musste für unsere Zwecke keine andere Funktion erfüllen, als ein Fünkchen in der porösen Oberfläche aufzunehmen und es so zu kultivieren, damit es ein wenig zu glimmen beginnt. Als das mal geschafft war und es endlich einmal zum Glimmen kam, war es aber noch ein weiter Weg bis zum Feuer.

Die zweite Möglichkeit, durch Reibung mit Holz und Bogen eine Glut zu entwickeln, war aber nicht weniger aufwändig. Bis wir nur herausgefunden hatten, welches Holz dafür geeignet war, wie stark der Bogen gespannt, in welcher Qualität das Holz sein musste und wie das Holz in Form und Grösse vorzubereiten war, vergingen Stunden mit zum Teil trickreichen Versuchen und Schwielen an den Händen. So vergingen die „ABENDE“ (Mehrzahl). Dabei hatten wir es im Vergleich zu den Steinzeitmenschen noch einfach. Denn die Techniken waren bereits entwickelt und wir konnten Hinweise dazu in der Literatur nachschlagen. Doch nachgelesen ist schnell, rekonstruiert und reproduziert hingegen nicht. Zudem war das Ziel, dass man das Erlernte jederzeit und ohne Zeitverzug wiederholen kann. Ein einmaliges Erfolgserlebnis war also allenfalls als Meilenstein zu feiern aber längst nicht als angestrebtes Ziel. So galt es nach den ersten Teilerfolgen das Ganze auch einzuüben, bis die Technik so weit ausgereift war, dass wir von einem gekonnten und jederzeit wiederholbaren Vorgang sprechen konnten. Und dies kam natürlich nur unter sorgfältiger Vorbereitung und vielfachem Üben zustande.

Die Sache mit dem Speer
Als zweites Thema gingen wir die Waffenproduktion an. Dabei haben wir uns aber lediglich auf die Speerschleuder, bestehend aus Speer und Wurfhebel, konzentriert.

Die Speerschleuder ist eine Distanzwaffe, welche eine Schussweite von über 50 bis 100 m erlaubt, also auf der Jagd eine freie Fläche voraussetzt. Deshalb wurde sie von den steinzeitlichen Rentierjägern vor 14'000 Jahren benutzt. Die Schleuder generiert eine größere Wurfkraft und kann deshalb auch sehr leicht von Kindern und Frauen ausgeführt werden.

Die Speerschleuder aus der ausgehenden letzten Eiszeit stellt nach dem derzeitigen Erkenntnisstand die älteste einfache Maschine der Menschheit dar. Der Arm des Werfers wird mit diesem künstlichen Hebel verlängert. Dadurch vergrössert sich der Beschleunigungsweg, die Abwurfgeschwindigkeit des Speeres erhöht sich und damit auch seine Durchschlagskraft.

Die Speerschleuder wird am hinteren Ende in einer Aushöhlung des Speerschaftes eingehakt, die Hand des Wurfarms hält dann beide zusammen in paralleler Position. Der Bewegungsablauf des Speerschleuderwurfes ähnelt dem des handgeworfenen Speeres. Als entscheidender Unterschied aber dauert die Kontaktphase zwischen Speerschleuder und Speer länger, was zu den beschriebenen Vorteilen führt.

Die Wurfhebel waren in der Herstellung eher als einfachen Vorgang zu betrachten. Obwohl wir aus mangelnder Jagdausbeute nicht abschliessend beurteilen können, ob sich diese Wurfhebel nicht weiter optimieren liessen. Wie auch immer! Die Speere hingegen verlangten dann doch einiges ab. Abgesehen davon, dass wir das verwendete Holz nicht aus der freien Natur bezogen, bestellten wir auch die Federn bei einem geeigneten Lieferanten. Wir hätten schlicht weder die Zeit noch die Möglichkeit gehabt, Truthahnfedern aus freier Wildbahn zu „generieren“. Die Herstellung der Projektile vollzogen wir dann in der für uns gewohnten industriellen Fertigung mit dem nötigen Durchsatz pro Zeiteinheit. Dabei sei aber noch erwähnt, dass nach abendfüllender Produktion von „lediglich“ zwanzig Speeren, um 01:30 Uhr in der Früh die Nerven bei einigen „Rentiermannen“ blank lagen. Dabei sind natürlich mildernde Umstände anzubringen, da wir zwischenzeitlich mal die Bäuche vollgeschlagen hatten und ein warmes Bett auf uns wartete. Wäre am nächsten Tag die grosse Rentierjagd gewesen, so hätte sich kaum einer eine Blösse gegeben und noch ein bis zwei Reservespeere mehr produziert… Ich lasse das jetzt mal so stehen!

Roli Schlegel