Das Jubiläumsjahr

50 Jahre UOV Reiat! Schon früh dachten wir im UOV Reiat über das fünfzigste Jubiläum nach. Wie soll es gefeiert werden? Was soll gemacht werden? Soll die Bevölkerung mit einbezogen werden? Solche Fragen stellten sich immer wieder und jeder brachte einen anderen Vorschlag hervor. Die Ideen waren sehr vielfältig und reichten von einem Sportanlass bis zur grossen Party. Das alles auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen war die grosse Schwierigkeit des Jubiläumsanlasses.
Im März 2007 kam die Idee auf, man möge doch einen Erlebnistag zum Thema Steinzeit beim Kesslerloch durchführen. Diese Option fand bei allen gefallen. Durch unser Wappentier, dem Rentier auf unserer Fahne, war auch ein starker Bezug zu den Steinzeitjägern gegeben.
Von da an ging es Schlag auf Schlag. Es war nicht mehr viel Zeit bis zum festgelegten Datum, dem 8. September 2007, zu verlieren. Vieles musste geplant und organisiert werden. Im Juli und August waren deshalb die Dienstagsübungen alle der Vorbereitung des Jubiläums vorbehalten. Das ehemalige Verwaltungsgebäude der Holcim beim Kesslerloch in Thayngen musste für die geplante Ausstellung auf Vordermann gebracht werden. Viele Stunden verbrachte man mit putzen und aufräumen. Ebenfalls mussten für die Ausstellung grosse Plakate erstellte werden, um ausführlich über den UOV Reiat informieren zu können. Für die Erlebnisposten rund ums Kesslerloch mussten Experten organisiert werden, welche dem Publikum demonstrieren können, wie man in der Steinzeit lebte. Und nicht zuletzt sollte natürlich noch ein Festzelt für die Verpflegung her.
Der 8. September nahte unablässig. Sozusagen als Probelauf für die Erlebnisposten fand eine Woche früher eine Lehrerfortbildung zum Thema Steinzeit statt. Die Experten zeigten uns und den Lehrern, wie die einzelnen Posten eine Woche später aussehen würden und was man dabei lernen kann.
Die Werbung zeigte ihre Wirkung und so strömte ein grosses Publikum an den Erlebnistag Kesslerloch. Grobe Schätzungen gehen von etwa 1200–2000 Personen aus, welche die angebotenen Steinzeitposten besuchten. Doch schauen wir uns diese Attraktionen einzeln im Detail an.

Werkzeuge

Vor 15'000 Jahren gab es den Jumbo noch nicht! Es damals nicht möglich, einfach in den nächsten Bau- und Hobbymarkt zu gehen, um sich Werkzeuge für den Alltagsbedarf zu besorgen. Sämtliche Utensilien, die man benötigte, mussten man selbst von Hand anfertigen. Dazu hatten die Steinzeitmenschen nur wenige, einfache Werkstoffe wie Holz, Stein, Birkenteer und Materialien tierischen Ursprungs zur Verfügung. Speere für die Jagd, Schaber, Faustkeile und andere Werkzeuge mussten in aufwändiger Handarbeit selbst hergestellt werden. In die Neuzeit wurden diese Gebrauchsgegenstände leider nur teilweise erhalten. Während die Steinklingen dem Zahn der Zeit stand hielten, haben sich die biologischen Materialien zersetzt. So ist es für den Laien heute kaum mehr möglich, den Verwendungszweck einer Klinge zu erfassen, da dessen Griff zerfallen ist. Das Wissen, wie solche Werkzeuge hergestellt werden, als auch über deren Gebrauch ist verloren gegangen. Nur mit viel Aufwand können wir es wieder erlangen.
Am Posten „Werkzeuge herstellen“ beim Erlebnistag Kesslerloch, konnte Jung und Alt die Technik der Bearbeitung des Silex erlernt werden. Jeder durfte sich selbst Pfeilspitzen aus dem in dieser Region häufigen Silex, der auch Feuerstein genannt wird, herst. Diese wurden dann in Pfeile eingepasst und dazu ein Pfeilbogen gespannt. Obwohl man in der Steinzeit erst Speere kannte, machte das eigenhändige Anfertigen von Pfeil und Bogen vor allem der jüngeren Generation mächtig Spass.

Speerschleudern

Für die Jagd benutzten die Steinzeitjäger Speere. Andere Waffen waren noch nicht erfunden, doch kannte man die Speerschleuder. Dieses Hilfsmittel verlängert den Wurfarm und ermöglicht es daher, den Speer weiter zu schleudern. Die Speerschleuder besteht aus einem etwa eine Elle langen Holzstab, der am hinteren Ende einen Widerhaken hat, mit dem der Speer beim hinteren Ende gefasst wird. Das zielsichere Schleudern eines Speers mit einer Speerschleuder will gelernt sein.
Und so übten sich die Väter zusammen mit Ihren Kindern mit viel Elan in dieser Jagdtechnik. Mit ein wenig Talent und Übung gelang es einigen, den gefährlichen Bären aus etwa dreissig Meter Entfernung zu treffen. Es machte allen Spass, zu spüren, wie man einen solchen Speer sicher ins Ziel bringt.

Ausweiden

Dass alle Teile eines erlegten Tieres gebraucht und verwertet werden, stellte in der Steinzeit eine Selbstverständlichkeit dar, die leider in unserer wohlhabenden Wegwerfgesellschaft verloren gegangen ist. Dass man die Sehnen für Näharbeiten, die Knochen und Geweihe für Werkzeuge und die Felle als Kleidung gebrauchen kann, wissen noch die meisten. Doch das die Vorderzähne des Unterkiefers eines Rentiers in der Steinzeit als Schmuchstück an die Kleider genäht wurden, wissen nur wenige.
Beim Posten „Ausweiden“ konnten die Anwesenden miterleben,wie ein junges Reh zerwirkt wurde. Mit originalgetreuen Steinmessern und Schabern aus Silex zog man ihm das Fell ab, welches man dann zur weiteren Präparierung aufspannte. Dies geschah mit einer Leichtigkeit, die auch angefressene Messerfreaks beeindruckte. Die Sehnen wurden dem Tier entnommen und zu Fäden gedreht. Bei diesem Posten konnte man auch viele weitere Tipps und Tricks aus der Steinzeit erfahren. Wachholder- und Thymianstauden nützen gegen die Fliegen, Buchenasche dient als salzige Steinzeitwürze fürs Fleisch, Rehhirn benutzte man als Bestandteil der Fellbehandlung vor dem Gerben, der Pansen einer Kuh taugt als Kochtopf, Sehnen als Faden und Pfeilbogenseiten, Birkenpech als Hartleim und Das Gemisch von Bienenwachs und Baumharz ergibt einen festen Zweikomponentenkleber.
Dass die Liebe bekanntlich durch den Magen geht, konnte an diesem Posten hautnah erlebt werden. Gross und Klein nutzten die Möglichkeit, einen Streifen Rehfleisch, quasi als prähistorischer Cervelat, über der Glut zu grillen. Ganz authentisch würzte man das Fleisch nur mit ein wenig Asche direkt vom Feuer. Die Begeisterung der Besucherinnen und Besucher war riesig und bei Manchem landete ein weiteres Stück Rehfleich im Magen. Dass ein Knabe sogar seine Bratwurst gegen einen Streifen Rehfleisch eintauschte, unterstreicht die ausgezeichnete Qualität des Wildes als Grillfleisch.

Feuer machen

Während man früher der Auffassung war, dass es den Steinzeitmenschen viel Stress bereitete, ein Feuer zu entfachen, und dass sie deshalb ständig das Feuer unterhalten mussten, so gilt gilt diese Meinung heute als überholt. Denn damals, kurz nachdem sich die eisigen Gletscher aus dem Land zurückzogen, herrschte in dieser Gegend eine Vegetation vor, wie sie heute etwa in der Tundra von Sibirien anzutreffen ist. Die Fauna bestand also aus kleinen Sträuchern, Gräsern, Polster- und Moospflanzen und Flechten. Somit war Brennholz ein rares Gut, das man nicht im Überfluss zur Verfügung hatte. Es versteht sich deshalb von selbst, dass man so mit dem Holz schonend umgehen musste und ein Feuer nicht ständig am Brennen halten konnte. So musste die rote Blume jeweils neu entfacht werden, wenn sie gebraucht wurde.
Wenn es heute Leute gibt, die nicht mal mit Zündhölzern und Zeitungen ein Feuer zustande bringen, wie mag es denn dann den Rentierjägern ergangen sein? Nun, sie entwickelten Methoden, um ohne diese Hilfsmittel zu Ziel zu kommen. Ihre Werkzeuge funktionierten nach einem ähnliche Prinzip wie ein modernes Feuerzeug.
In einer hervorragenden Demonstration wurden uns die Methoden veranschaulicht, die es braucht, um so ein Feuer zu machen. Zunächst einmal die bekannte Variante des Bogens mit dem Holzstäbchen. Der Experte zeigte uns welches harte, faserige Holz man als Brettchen benutzen soll, um darin mit dem Stäbchen unter zur Hilfenahme des Bogens zu „bohren“. Er musste nur wenige Züge mit dem Bogen machen – und schon begann es zu rauchen! Mit wenig feinem, dürren Geäst brannte schon bald ein Feuerchen.
Auch die Methode des Steinzeitfeuerzeugs wurde uns demonstriert. Dazu braucht es zunächst mal einen Pyrit, auch Katzengold genannt. Mit einem Feuerstein, in der Fachsprache Silex, der in ein Holzstück eingepasst ist, muss man dann auf den Pyrit einschlagen, bis die Funken sprühen. diese Funken sollen sich dann in ein Stück Zunder einnisten. Der Zunder stammt übrigens von einem Pilz, der an den Stämmen von Laubbäumen, vor allem an denjenigen der Buche, anzutreffen ist. Aus ihm können auch Hüte, wie unser Experte einen Trug, hergestellt werden. Solche Hüte bieten einen sehr angenehmen Tragkomfort und weisen zudem auch anti-bakterielle Eigenschaften auf. Sobald ein Funke auf den Zunder über gesprungen ist, kann er dort eine kleine Glut entfachen. Der Zunder selbst wird aber nicht entflammen, sondern nur langsam weiter glimmen. So muss nun durch pusten die Glut vergrössert werden. Wenn man sie nun in ein Nest von feinen Ästchen und anderen leicht brennbaren Brennstoffen einbettet, kann sehr schnell ein Feuer entfacht werden, was uns der Experte auf spektakuläre Weise bewies.

Kunst gestalten

Wer bis anhin geglaubt hatte, die Steinzeitjäger – oder "Höhlenbewohner" wie sie oft despektierlich genannt werden – seien eher von beschränktem Geist gewesen, musste sich eines Besseren belehren lassen. Funde von fantastischen Höhlenmalereien, Ritzereien und sogar Plastiken zeigen doch, dass die Steinzeitmenschen bereits vor 15'000 Jahren über ein beachtliches Kunsthandwerk verfügten, bei dem die meisten heutigen Zeitgenossen kaum im Stande sind, es ihnen gleich zu tun. Man beachte doch nur einmal den Knochen mit dem abgebildeten Rentier aus dem Kesslerloch etwas genauer... Zum einen ist das Original recht klein und dennoch von sehr hoher Natürlichkeit und Präzision abgebildet. Bedenkt man dazu noch, dass dieses Ren in einen Knochen von unsäglicher Härte geritzt wurde, dann kommt man aus dem Staunen kaum heraus. Wer solcherlei Kunstwerke mit einer solchen Vollendung herstellen kann, verfügt über ein erhebliches Potenzial, das kaum mit der Vorstellung eines "primitiven Höhlenmenschen" in Übereinstimmung gebracht werden kann.
Am Posten "Höhlenmalerei und Kleinkunst", welcher in vorzüglicher Weise von Frau Franziska Knapp, Museumspädagogin in Schaffhausen, vorbereitet und betrieben wurde, konnte sich Gross und Klein im Kunsthandwerk der Steinzeitmenschen üben. Geritzt wurde in Schiefer und Rinderknochen. Während die Schieferplatten bald einmal die Bemühungen der Künstler belohnten, blieb es beim Ritzen in die Knochen in den meisten Fällen bei einem zaghaften Versuch. In der eigens dafür hergerichteten Höhle, konnten sich die Besucher in authentischer Umgebung und bei spärlich flackerndem Licht malend verwirklichen. Dass dabei auch über Kopf oder an einer Schrägwand skizziert, gemalt und mit irdenen Farben ausschraffiert werden musste, versteht sich von selbst. Doch auch da kamen viele der Besucher nicht aus dem Staunen heraus, wenn ihnen das scheinbar einfachste Festhalten eines Mammuts oder Rentiers auf dem Zeichnungspapier nicht so recht gelingen wollte. Am Schluss ging es wohl allen gleich – mit Respekt und Bewunderung konnte man Einblick in die vielfältige Kultur jener Menschen nehmen, die uns durch ihre Lebensweise so fremd erscheinen und uns in Wirklichkeit so ähnlich waren. Und was gewisse Kulturtechniken betrifft, mögen sie uns in Manchem sogar überlegen gewesen sein...

Ausstellungen von Rentierjägern und Rentiermannen

Wer etwas mehr übers Kesslerloch erfahren wollte, nahm an einer Führung teil oder besuchte die Austellungen im nahen Holcim-Verwaltungsgebäude. Im obersten Stockwerk wurden die Geschichte und Zukunft des Kesslerlochs beleuchtet. Plakate, die von der Kantonsarchäologie erstellt wurden, zeigten, wie zur Steinzeit ums Kesslerloch gelebt wurde. Ebenfalls konnte man interessante Bilder über die ersten Ausgrabungen besichtigen. In Vitrinen wurden Kopien der schönsten Fundstücke ausgestellt. Ein Raum war der Zukunft des Kesslerlochs gewidmet und informierte über die geplanten Vorhaben rund um diese historisch Fundstätte.
Im ersten Stock des Holcim-Gebäudes informierten wir über unseren Verein, den UOV Reiat. Zunächst konnte man die Wettkampftenüs der Rentiermannen im Laufe der Zeit sehen. So sam man als erstes ein Bild eines Jägers vor etwa 10'000 Jahren. Als Bindeglied in die Neuzeit stand Ötzi in seiner originalgetreuen Kleidung, wie vor etwa 5000 Jahren. Ein Rentiermann in tanniger Uniform repräsentierte die Gründungszeit vom UOV Reiat vor 50 Jahren. Und als letzter im Bunde war ein moderner UOVler mit Taz-Hosen, grünem T-Shirt und bequemen Turnschuhen. Im nächsten Raum war die Entstehungsgeschichte des UOV Reiat auf Plakaten dargestellt. Auch die militärischen Hintergründe in der Gründungszeit wurden beleuchtet. Zu jener Zeit fand nämlich der Aufstand in Ungarn statt. In weiteren Räumen wurden die Militärgeschichte aus den letzten 50 Jahren dokumentiert, Impressionen aus dem Vereinsleben gezeigt und einige Polale, welche wir gewonnen hatten, ausgestellt.
Als krönender Abschluss zeigte Emil seinen Film, den er aus Ausschnitten der Vereinsgeschichte zusammengestellt hatte.

Der Festabend

Im Anschluss an den Erlebnistag Kesslerloch feierten wir unser Jubiläum im Vereinsrahmen. Beim Apéro stoss man auf die 50 Jahre UOV Reiat an und bedankte sich für die zu diesem Anlass erbrachte Leistung. Anschliessen gab es ein feines Nachtessen. Im Laufe des Abends wurden so manche Geschichten und Anekdoten aus dem Vereinsleben erzählt. Zur Gründung eines Fonds für die Aufwertung des Kesslerlochs gab es eine Versteigerung. Das Bild eines Rentiers, welches ein Kind beim Posten „Kunst gestalten“ gemalt hatte, wurde dem meistbietenden versteigert. Ein anonymer Käufer erhielt den Zuschlag und so kam es zur ersten Einlage für diesen neuen Fonds. Bis weit in die Nacht hinein wurde geschwatzt, getrunken und die Geselligkeit des Vereinslebens genossen. Der ganz harte Kern blieb sitzen und pokerte weiter, bis fast ans Ende der Nacht.

Roland Schlegel, Christoph Küpfer
Rolf Suter